19. April 2024

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Berliner Mietendeckel nichtig – Nachzahlungen drohen

Den Berliner Mietendeckel hätte es nie geben dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hält allein den Bund für zuständig. Auf viele Mieter kommen nun Nachzahlungen zu.

Hunderttausende Menschen in Berlin müssen sich auf höhere Mieten und teils saftige Nachzahlungen einstellen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte den seit Februar 2020 geltenden, in Deutschland einmaligen Mietendeckel mit einem am Donnerstag veröffentlichtem Beschluss für nichtig.

Die Länder seien für das Mietrecht gar nicht zuständig, der Bundesgesetzgeber habe spätestens mit der Mietpreisbremse eine abschließende Regelung geschaffen (Az. 2 BvF 1/20 u.a.). Damit gelten die im Landesgesetz festgelegten Mietobergrenzen ab sofort nicht mehr – die Rechtslage ist nun so, als hätte es den Deckel nie gegeben.

Immobilien- und Bauwirtschaft, Union und FDP reagierten erleichtert auch die Entscheidung aus Karlsruhe. An der Frankfurter Börse legten Werte von Immobilienkonzernen zu. Die SPD, Linke, Grüne und Sozialverbände forderten als Konsequenz aus der Entscheidung eine stärkere Regulierung der Mieten auf Bundesebene bis hin zu einem Mietendeckel für ganz Deutschland. Das Thema dürfte damit im Bundestagswahlkampf eine wichtige Rolle spielen.

Für die rot-rot-grüne Regierungskoalition in Berlin, die die Spirale aus stetig steigenden Mieten stoppen wollte, ist der Beschluss der Verfassungsrichter eine krachende Niederlage. Sie hatte zum 23. Februar 2020 die Mieten für 1,5 Millionen Wohnungen auf dem Stand von Juni 2019 eingefroren. Das betrifft neun von zehn Mietwohnungen.

Für den Fall eines Mieterwechsels sah das Gesetz vor, dass es bei der alten Miete bleibt oder Obergrenzen greifen. Mieten, die um mehr als 20 Prozent über den Obergrenzen liegen, galten als zu hoch. Seit dem 23. November waren betroffene Vermieter gesetzlich verpflichtet, die Mieten für mehrere Hunderttausend Wohnungen zu senken. Die gesamte Regelung war auf fünf Jahre befristet, also bis 2025.

Ein solches Gesetz hätte ein einzelnes Bundesland aber gar nicht beschließen dürfen, entschieden die Verfassungsrichter. Das Mietrecht sei seit dessen Inkrafttreten im Jahr 1900 essenzieller Bestandteil des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Die Regelungen dort seien sehr ausdifferenziert. Spätestens mit dem Erlass der Mietpreisbremse, die seit 2015 in besonders begehrten und teuren Wohngegenden greift, habe der Bund den Bereich abschließend geregelt, so die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats. Sie sei mehrfach nachjustiert worden. Dabei habe sich der Bund um Ausgleich zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen von Mietern und Vermietern bemüht.

Für einen Mietendeckel in einem Bundesland ist daneben kein Platz mehr: Das Berliner Gesetz verenge die vom Bund belassenen Spielräume und führe ein paralleles Landesrecht «mit statischen und marktunabhängigen Festlegungen» ein, so das Verfassungsgericht. Die Verbote begrenzten die Privatautonomie beim Abschluss von Mietverträgen über das im BGB erlaubte Maß hinaus.

Für viele Mieter hat das erhebliche Folgen. Die Vorschriften des Mietendeckels seien ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens nichtig, erklärte die Senatsverwaltung für Wohnen. «Für die Mieterinnen und Mieter bedeutet dies, dass sie wieder die mit ihren Vermieterinnen und Vermietern auf Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches vereinbarten Mieten zu entrichten und gegebenenfalls auch die Differenz zwischen der Mietendeckelmiete und der Vertragsmiete nachzuzahlen haben.»

Nach Angaben des Berliner Mietervereins droht Mietern zwar keine sofortige Kündigung. Allerdings gebe es «eine alsbaldige Rückzahlpflicht der Differenzbeträge». «Wer die offenstehenden Beträge nicht unmittelbar leisten kann, sollte mit dem Vermieter in Kontakt treten», empfahl der Verein. Nach Angaben des zuständige Senators Sebastian Scheel (Linke) will der Senat Betroffenen mit «sozial verträglichen Lösungen» helfen.

Der Wohnungskonzern Vonovia, der in Berlin etwa 42.000 Wohnungen besitzt, will keine Nachforderungen stellen. Den Mietern sollten «keine finanziellen Nachteile aufgrund getroffener politischer Entscheidungen entstehen», erklärte Vorstandschef Rolf Buch. Der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen hingegen will auf Nachforderungen nicht verzichten. Im Durchschnitt gehe es um 430 Euro pro Mieter, teilte das Unternehmen mit.

Dem Konzern gehören in Deutschland mehr als 155.400 Wohnungen, rund drei Viertel davon in der Hauptstadt. Dort sammelt die Bürgerinitiative «Deutsche Wohnen & Co. enteignen» seit geraumer Zeit Unterschriften für einen Volksentscheid über die Enteignung von Immobilienunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen.

Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) begrüßte die Entscheidung aus Karlsruhe. Der Mietendeckel sei «der völlig falsche Weg» gewesen. «Er hat für Unsicherheit auf den Wohnungsmärkten gesorgt, Investitionen ausgebremst und keine einzige neue Wohnung geschaffen.» Die Immobilienwirtschaft begrüßte, dass es nun Rechtsklarheit gebe.

Der Deutsche Mieterbund forderte den Bund auf, «die Mietenexplosion in vielen deutschen Städten zu stoppen». Auch zahlreiche weitere Stimmen setzen nach dem kompletten Scheitern des Landesgesetzes ihre Hoffnung auf bundesweite Regulierungen. Oder darauf, dass Bund, es den Ländern gesetzlich ermöglicht, Mietendeckel einzuführen, wie die Berliner Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Kapek forderte.