29. März 2024

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Gas-Streit mit Polen: Deutschland droht Niederlage vor EuGH

Wie viel Gas darf Russland durch die Ostsee nach Deutschland liefern? Ein EuGH-Gutachten legt nahe, dass bestehende Leitungen weiterhin nicht voll genutzt werden dürfen.

Im Streit um eine Ausweitung russischer Erdgaslieferungen droht Deutschland eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona empfahl dem obersten EU-Gericht in einem am Donnerstag veröffentlichten Gutachten, Rechtsmittel Deutschlands gegen einen Beschluss des EU-Gerichts zurückzuweisen. EuGH-Gutachten sind nicht bindend, häufig folgen die EU-Richter ihnen aber.

Konkret geht es um Lieferungen durch die Pipeline Opal, eine Verlängerung der seit 2011 betriebenen ersten Nord Stream-Pipeline in der Ostsee, über die russisches Gas nach Europa transportiert wird. Opal leitet das Gas durch Ostdeutschland weiter nach Tschechien (Rechtssache C-848/19).

Im September 2019 hatte Polen in erster Instanz einen Beschluss der EU-Kommission stoppen lassen, der dem russischen Gazprom-Konzern eine stärkere Nutzung der Opal-Pipeline erlaubte (Rechtssache T-883/16). Gazprom hatte ursprünglich nur die halbe Leitungskapazität nutzen dürfen, um andere Lieferanten nicht zu benachteiligen. Mit einem Beschluss von 2016 erlaubte die EU-Kommission Gazprom dann auf Antrag der Bundesnetzagentur eine deutliche Erhöhung der Lieferungen.

Polen klagte dagegen mit der Begründung, wenn mehr Nord-Stream-Gas nach Mitteleuropa komme, könnte die Lieferung von Gas über zwei konkurrierende Pipelines durch Osteuropa gedrosselt werden – was laut EuGH-Gutachten auch der Fall war. Dies bedrohe die Versorgungssicherheit in Polen und widerspreche dem in der EU geltenden Grundsatz der Solidarität im Energiesektor.

Deutschland «macht im Wesentlichen geltend, dass die Energiesolidarität lediglich ein politischer Begriff und kein rechtliches Kriterium sei», heißt es in dem Gutachten. Entsprechend könnten daraus keine unmittelbar Rechte und Pflichten abgeleitet werden. Campos Sánchez-Bordona teilt diese Ansicht jedoch nicht.

Der polnische Gaskonzern PGNiG sieht sich durch das Gutachten bestätigt. Die Sache sei nicht nur im Kontext dieser konkreten Gaspipeline von Bedeutung, sagte der Vorstandsvorsitzende Pawel Majewski. «Wenn es unmöglich gemacht wird, die gesamte Kapazität der Opal-Pipeline zu monopolisieren, dann ist das nicht nur für Polen eine gute Nachricht, sondern auch für die Energiesicherheit der gesamten EU und das richtige Funktionieren ihres Gasmarktes.»

Wenn die EuGH-Richter ihrem Gutachter folgen, kann das bevorstehende Urteil auch Auswirkungen auf die umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 haben. Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona schreibt, dass es für Gazprom und verbündete Unternehmen schwieriger werden könne, «in den Genuss einer vorübergehenden Ausnahme von der Anwendung der Unionsbestimmungen (…) auf die Gasfernleitung Nord Stream 2 (…) zu kommen».

Diese Unionsbestimmungen schreiben einen freien und fairen Wettbewerb der Gasflüsse vor. Hoffnungen Gazproms auf Vorteile auf dem Energiemarkt nach der Fertigstellung von Nord Stream 2 dürften entsprechend einen Dämpfer bekommen.

Der Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 wird von Teilen Europas und der USA kritisiert. Die Rohr-Verlegearbeiten stehen schon länger kurz vor dem Abschluss. Es gab jedoch immer wieder Widerstand aus anderen Ländern. So hatten etwa Sanktionsandrohungen aus Washington mehrere europäische Unternehmen dazu bewegt, ihre Teilnahme an dem Projekt zu beenden oder ihren Rückzug zuzusichern.

(HINWEIS: Es handelt sich um die Berichtigung einer Meldung vom 18. März – es wird klargestellt, dass Pawel Majewski der Vorstandsvorsitzende von PGNiG ist.)