29. März 2024

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Historische Rebsorten werden in der Klimakrise neu entdeckt

Gelber Orleans, Heunisch, Grüner Adelfränkisch - solche Reben wurden einst aufgegeben, weil sie im kühlen Mitteleuropa nicht reif genug wurden. Jetzt finden die Sorten wieder Liebhaber.

Nach dem heißen Sommer ist es für Weinbaubetriebe nicht einfach, die Nachfrage nach trockenen und leichten Weißweinen zu bedienen. Trotz des frühen Beginns der Lese haben die Trauben oft einen hohen Zuckergehalt, was im Fass leicht zu erhöhten Alkoholwerten führt. Und sie enthalten weniger Säure als in kühlen Jahren. Einige Winzerinnen und Winzer setzen daher auf historische Rebsorten, die oft deutlich später reifen als klassische Sorten wie Riesling oder Grauburgunder.

«Der Gelbe Orleans ist für uns die Antwort auf den Klimawandel», sagt die Niersteiner Winzerin Gina Gehring beim Blick auf die großen grüngelben Trauben ihres Weinbergs im Niersteiner Roten Hang, dessen Weine von den mineralischen Noten des rötlich schimmernden Tonschiefers geprägt sind. «Letztes Jahr hatten wir wirklich Probleme, ihn reif zu bekommen, weil es so kühl war. Aber in diesem Jahr passt alles zusammen für den Gelben Orleans.»

Deutliche Vorteile für später reifende Rebsorten

Am Institut für Rebenzüchtung der Hochschule Geisenheim im Rheingau wurden gegen Ende der ersten Septemberwoche für den Riesling 83 Grad Oechsle gemessen, das ist das Maß für den Zuckergehalt der Trauben, für den Gelben Orleans aber nur 54. In vergangenen Jahrhunderten habe es nur an wenigen Orten wie dem Roten Hang oder am Rüdesheimer Berg die Chance gegeben, Gelben Orleans mit ausreichender Sonneneinstrahlung und der richtigen Hangneigung zur Reife zu bringen, erklärt Institutsleiter Joachim Schmid. «Seit 1988 sind wir von höheren Temperaturen verwöhnt, mittlerweile eher beängstigt.» Daher gebe es jetzt deutliche Vorteile für später reifende historische Rebsorten.

Der Winzer Martin Koch in Hahnheim (Kreis Mainz-Bingen) schätzt den Gelben Orleans als Verbindung zu den Zisterzienser-Mönchen, die diese Rebsorte im Mittelalter aus Frankreich an den Rhein brachten. «Es ist für uns sehr reizvoll, diese Reben in der gleichen Lage wieder anzubauen wie die Zisterzienser – wegen dieser Mönche heißen wir ja auch Abthof», erklärt der rheinhessische Winzer. Es sei nachvollziehbar, dass der Gelbe Orleans in einer Zeit mit kühleren Temperaturen nicht mehr kultiviert worden sei. «Aber heute ist das gerade ein Vorteil.»

Der Winzer verbindet dies mit gezieltem «Storytelling» – für die Betriebe ist es wichtig, den Verkauf ihrer Weine mit besonderen Geschichten zu verbinden. Auf dem Etikett wird der Gelbe Orleans daher als «Wein Napoleons und der Zisterzienser» betitelt.

Neben dem Gelben Orleans wird inzwischen auch Heunisch-Wein angebaut und abgefüllt – dies war in Mitteleuropa bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine weit verbreitete Weißweinsorte. «Wir haben aber auch eine Fülle von weiteren historischen Rebsorten entdeckt, die hin zu wärmerem Klima eine bessere Eignung als klassische Rebsorten haben», sagt der Rebenveredler Ulrich Martin aus Gundheim (Kreis Alzey-Worms). Zu seinen Favoriten gehört Grüner Adelfränkisch – «diese Rebsorte fühlt sich bei 40 Grad erst richtig wohl». Mit den steigenden Temperaturen gebe es beim Riesling ebenso wie für den Chardonnay das Problem, das die Säure verschwinde. «Grüner Adelfränkisch behält die Säure und ist ein Klimagewinner.»

Züchtung neuer Rebsorten keineswegs abgeschlossen

Bis 2007 galt diese wohl ursprünglich aus Mähren stammende und mit dem Traminer verwandte Rebsorte als ausgestorben. «Es ist sehr wichtig, die Genressourcen historischer Rebsorten zu erhalten», sagt der Wissenschaftler Schmid. «Wir müssen das komplette Sortiment in irgendeiner Form aufbewahren – am besten im Feld», also im kommerziellen Anbau. Die Pflege historischer Rebsorten allein in wissenschaftlichen Anlagen biete keine Garantie für ihr Weiterbestehen.

Die Bewahrung eines möglichst umfassenden Genpools ist aus seiner Sicht auch deswegen sinnvoll, weil die Züchtung neuer Rebsorten mit Blick auf veränderte Anforderungen noch keineswegs abgeschlossen sei. Bislang standen da die Piwis im Blickpunkt, pilzwiderstandsfähige Rebsorten, die weniger anfällig gegen Pilzerkrankungen sind und daher geringere Anforderungen an den Pflanzenschutz stellen. «Viele Piwis sind aber relativ früh reif», sagt Schmid. «Da sind Kreuzungen mit historischen Rebsorten durchaus sinnvoll.»

«Ich liebe Riesling über alles», sagt Gina Gehring. «Aber in Zukunft muss man sich natürlich Gedanken machen, wie es weitergeht.» Um eine möglichst hohe Qualität zu erreichen, schneidet sie schon im Sommer einige grüne Trauben vom Gelben Orleans ab. Das hilft den Reben auch, die Trockenheit besser zu verkraften. Aus den unreifen Trauben bereitet sie Verjus, einen sauren Saft ohne Zusatz- oder Konservierungsstoffe. «Wir benutzen ihn wie pure Zitrone», sagt die 24-jährige Jungwinzerin. Im Weingut werde Verjus als alkoholfreie Schorle geschätzt, in der gehobenen Gastronomie für Salatdressings genutzt. «Und man kann Verjus für Cocktails einsetzen – in Berlin ist das super hip.»

Von Peter Zschunke, dpa