25. April 2024

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Sanddorn-Pioniere am Ende

Ostsee-Touristen lieben Sanddorn, der wild an der Küste wächst. Doch aus Mecklenburg-Vorpommern kommen die Beeren nicht mehr. Das seit Jahren anhaltende Pflanzensterben hat einschneidende Folgen.

Im einst stolzen Zentrum des deutschen Sanddorn-Anbaus gehen die Lichter aus. Seit Jahren rafft ein geheimnisvolles Sanddorn-Sterben die Sträucher in Mecklenburg-Vorpommern dahin. Jetzt fällt beim Pionier der Branche, der Sanddorn Storchennest GmbH in Ludwigslust, erstmals in der 40-jährigen Firmengeschichte die Ernte aus.

Voriges Jahr haben sie noch vier Tonnen von den Sträuchern geholt, in den besten Jahren 120 Tonnen. In diesem Jahr seien von den wenigen noch lebenden Sträuchern dann noch die Früchte wegen Hitze und Trockenheit abgefallen. Ob sie jemals wieder auf die Felder ziehen werden, um die meterlangen, stacheligen Äste mit den orangeroten Beeren zu schneiden? Firmenchefin Silvia Hinrichs weiß es nicht.

Beim zweiten großen Unternehmen in dem Bundesland, Forst Schneebecke in Alt Steinhorst bei Rostock, werden in diesen Tagen zum letzten Mal auf kläglichen sechs Hektar die Beeren geerntet. Anschließend werden die Sanddorn-Plantagen umgebrochen, sagt Inhaber Benedikt Schneebecke. Er will dort künftig Weihnachtsbäume ziehen. Er hat einst auf 70 Hektar Sanddorn gezogen.

Jahre des Kämpfens und Hoffens

Hinter beiden Unternehmen liegen Jahre des Kämpfens, Ausprobierens und Hoffens. Seit etwa zehn Jahren greift das Sanddornsterben im Nordosten immer heftiger um sich. Erst vertrocknet ein Strauch in einer Plantage, bald sind es zehn, dann das ganze Feld. Es könnte Trockenstress sein, meinten Experten. Schneebecke versuchte es mit Bewässerung, aber das half nichts. Auch Wildbestände an der Küste sterben. Jetzt gibt Schneebecke auf.

Das einst größte deutsche Bio-Anbaugebiet für Sanddorn in Ludwigslust umfasste 117 Hektar, malerisch verteilt rund um die Barockstadt. Fast alles sei tot, sagt Hinrichs. Man habe noch knapp zehn Hektar mit lebenden Pflanzen.

Das Unternehmen war ein Pionier in Deutschland. Als die DDR-Führung wegen chronischer Devisenknappheit beschloss, Versuche mit frostharten, vitaminstarken Früchten zu starten, war Ludwigslust dabei. Auf den sandigen Böden gedieh der ursprünglich aus dem Himalaya stammende Strauch prächtig. Der Anbau wurde seit den frühen 1980er Jahren kommerziell betrieben und überlebte auch die Wende.

Lecker und gesund zugleich

Sanddorn ist ein gefragtes Nischenprodukt und wird in Cremes ebenso verwendet wie für Liköre, Marmeladen, Eis oder Senf. Bei Ostsee-Touristen gehören Sanddorn-Produkte zu den beliebtesten Mitbringseln – sie sind lecker und gesund zugleich. Der Krankenkasse AOK zufolge punkten Sanddornbeeren besonders mit ihrem hohen Vitamin-C-Gehalt. 100 Gramm der Früchte enthalten demnach bis zu 1300 Milligramm Vitamin C. In Zitronen steckten hingegen nur 51 Milligramm pro 100 Gramm. Sanddorn wird nicht von ungefähr die «Zitrone des Nordens» genannt.

«Es ist ausgesprochen traurig», sagt der Obstbauberater für Mecklenburg-Vorpommern, Rolf Hornig. «Der Sanddorn-Anbau hatte einen hohen landeskulturellen Wert.» Anfang 2021 startete ein dreijähriges Forschungsprojekt unter Beteiligung des Julius-Kühn-Instituts, um der Ursache des Sanddornsterbens auf den Grund zu gehen. Einen Durchbruch kann Hornig bislang nicht vermelden. «Wir sind alle etwas ratlos.» Solange das so sei, könne er niemandem empfehlen, Sanddorn anzubauen.

In Ludwigslust haben sie noch ein Fünkchen Hoffnung. «Wir pflanzen jedes Jahr drei, vier Hektar neu», sagt Hinrichs. Vielleicht werde die Ursache ja zeitnah gefunden. Das Sanddornsterben fängt ziemlich verlässlich an, wenn die Sträucher nach einigen Jahren zum ersten Mal Früchte tragen, hat sie beobachtet. Die meisten ehemaligen Sanddorn-Plantagen in Ludwigslust würden aber für den Bio-Ackerbau umgenutzt. Auch unternehme man Versuche mit Walnuss, Haselnuss und Aronia-Beere.

Außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns scheint das Sanddornsterben bisher kein Problem zu sein. Vom nunmehr größten Anbauer in Deutschland, der Christine Berger GmbH & Co. KG im brandenburgischen Werder, heißt es, man könne auf den 150 Hektar Bio-Plantagen keine Schäden erkennen. Anfang September startet dort offiziell die Ernte. Auch Ralf Donath von der Seydaland Vereinigte Agrarbetriebe GmbH & Co. KG in Jessen in Sachsen-Anhalt hat bisher kein Sterben auf den 125 Hektar Sanddorn-Flächen seines Unternehmens beobachtet. «Ich hoffe, dass wir verschont bleiben», sagt er. Bundesweit sind im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt rund 740 Tonnen Sanddorn von 228 Hektar Plantagen geerntet worden.

Von Iris Leithold, dpa