19. April 2024

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VW hält an umstrittenem Werk im Westen Chinas fest

Die Lage der Menschenrechte im westchinesischen Xinjiang ist für VW ein heikles Thema. Etliche Stimmen fordern von dem Konzern, seine Präsenz in der Uiguren-Region zu überdenken.

Der Volkswagen-Konzern will auch nach einem Besuch seines China-Vorstands Ralf Brandstätter in dem umstrittenen Werk in der Region Xinjiang an dem Standort festhalten. «Natürlich kennen wir die kritischen Berichte, wir nehmen das sehr ernst», sagte der Manager zu Darstellungen, denen zufolge es in der Westprovinz eine systematische Unterdrückung der muslimischen Uiguren geben soll. «Aber wir haben keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen in diesem Werk – das hat sich nach meinem Besuch nicht geändert.»

Brandstätter war Mitte Februar für zwei Tage in die Stadt Ürümqi gereist, um sich in der örtlichen Fabrik umzusehen. «Ich habe keine Widersprüche festgestellt», meinte Volkswagens China-Chef. «Ich habe keinen Grund, an den Informationen und meinen Eindrücken zu zweifeln. Ungeachtet dessen schauen wir natürlich trotzdem weiter hin.»

Ein Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte hatte voriges Jahr von schwerwiegenden Verstößen in der Gegend gesprochen. Auch nach Auffassung mancher Nichtregierungsorganisationen sind gravierende Verletzungen elementarer Rechte dokumentiert – so soll es etwa Umerziehungslager geben, in denen Uiguren misshandelt werden.

Die internationale Kritik reißt nicht ab

«Wir sind in der Tat tief besorgt über die Feststellung in diesem Bericht und haben ihn uns sehr genau angesehen», sagte der Leiter der Außenbeziehungen bei VW, Thomas Steg. «Wir haben die Situation niemals ignoriert oder auf die leichte Schulter genommen, sondern immer wieder deutlich gemacht, dass der Volkswagen-Konzern weder Zwangsarbeit noch andere Formen der Diskriminierung duldet.»

Internationale Kritik an der Lage in Xinjiang bringt die Wolfsburger – wie andere Firmen mit China-Geschäft – immer wieder in Erklärungsnot. Zwar sank der VW-Konzernabsatz in der Volksrepublik 2022 vor allem wegen neuer Covid-Lockdowns um 3,6 Prozent. Insgesamt bleibt das Land für das größte deutsche Unternehmen jedoch ein unentbehrlicher Markt.

Die knapp 3,2 Millionen dort verkauften Konzernfahrzeuge machten zuletzt einen Anteil von über 38 Prozent aller global ausgelieferten Wagen aus. So kann sich ein Dilemma zwischen wirtschaftlichen Interessen und politischen Zielen ergeben. Die neue VW-Aufsichtsrätin Julia Willie Hamburg hatte zu ihrer Zeit als Oppositionspolitikerin im niedersächsischen Landtag mehrere kritische Anfragen dazu an die Regierung gestellt. Niedersachsen ist zweitmächtigster VW-Aktionär.

240 Beschäftigte sind aktuell am Standort im Einsatz

Man selbst habe nur begrenzte Möglichkeiten der Steuerung in Ürümqi, weil eine Tochtergesellschaft des nicht von Volkswagen kontrollierten Gemeinschaftsunternehmens mit dem chinesischen Partner SAIC das Werk betreibe, erklärte Steg: «Entscheidungen können nur einvernehmlich getroffen werden – es gibt bestehende Verträge. Mit unserem Partner SAIC stimmen wir darin überein, dass in gemeinsamen Unternehmungen Grundwerte und Recht eingehalten und geschützt werden müssen.»

Das 2012 gestartete Werksprojekt sei interessant gewesen, weil die Autonachfrage in der strukturschwachen Region als hoch eingeschätzt wurde. Im Laufe der Zeit habe sich das Klima gewandelt, so Steg – auch weil sich die Politik der Pekinger Regierung in der autonomen uigurischen Region etwa nach einem Terrorattentat verändert habe.

Brandstätter schilderte sein eigenes Bild: «Das Werk unterscheidet sich nicht von anderen Werken der Joint-Venture-Gesellschaften in China. Ich habe ein engagiertes Team kennengelernt. Es wird für ein gutes Betriebsklima gesorgt, auch durch gezielte Integrationsmaßnahmen. Zudem wird offensichtlich großer Wert auf ein gutes Miteinander gelegt.» Er hatte im vergangenen Sommer den Posten des China-Chefs übernommen.

Derzeit produzieren VW und SAIC in Ürümqi keine eigenen Fahrzeuge, sondern nehmen dort aus anderen Fabriken zugelieferte Wagen technisch in Betrieb. 2023 sollen es laut Brandstätter rund 10 000 Stück sein, die anschließend an regionale Händler verteilt werden. Noch knapp 240 Beschäftigte seien aktuell am Standort im Einsatz – erheblich weniger als vor der Corona-Krise.

Brandstätter sagte, er habe einen ausführlichen Rundgang durch das Werk gemacht. Mit sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern habe es außerdem ein längeres Gespräch gegeben – unter ihnen Uiguren sowie Repräsentanten weiterer Gruppen wie Kasachen und Han-Chinesen. In einigen Fällen habe man sich auch auf Englisch verständigen können. Regierungs- oder Verwaltungsvertreter seien nicht dabei gewesen.

29 Prozent der Beschäftigten in Ürümqi gehörten Minderheiten an, 17 Prozent seien Uiguren. «Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen sind in etwa gleich verteilt über Produktion, technische Berufe und auch das Management.» Drei Viertel der Beschäftigten seien nach Daten des Partners SAIC bereits seit acht Jahren oder länger dort angestellt.

Der VW-Betriebsrat unterstrich, ein formal gesehen fehlender direkter Durchgriff auf die Abläufe in dem Werk «entbindet den Konzern nicht davon, sich den Themen zu stellen und dazu aktiv zu positionieren». Generell blicke man mit großer Sorge auf das Thema Menschenrechte in China. «Die Fakten, die der Weltgemeinschaft diesbezüglich gerade über Xinjiang vorliegen, sind unmissverständlich», hieß es aus der Belegschaftsvertretung in Wolfsburg.

Laut Steg laufen die bestehenden Verträge mit SAIC dort noch bis Anfang der 2030er Jahre. «Und wir entnehmen aus den Gesprächen mit SAIC, dass der Partner das Werk nicht infrage stellt.» China bleibe für VW ein zentraler Absatzmarkt und Technologietreiber gleichermaßen.

Eine Neuausrichtung der China-Politik könnte auch Folgen für deutsche Investitionen haben. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte erklärt, Bundesbürgschaften würden mit Blick auf Umwelt-, Sozial und Menschenrechtsaspekte genau geprüft. «Ja, da hat es eine Entscheidung gegeben, Anträgen auf Verlängerung von Garantien nicht stattzugeben», sagte Steg. «Aber es ging dabei nicht um Investitionen in Xinjiang.»