19. April 2024

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Zielhafen Klimaneutralität: Weiter Weg für die Schifffahrt

Die Schifffahrt ist das Rückgrat des Welthandels und belastet gleichzeitig Umwelt und Klima. In diesem Spannungsfeld lotet die maritime Wirtschaft Lösungen aus. Fragen bleiben offen.

Der Weg zum Zielhafen Klimaneutralität ist für die Schifffahrt noch weit – und geht es nach der EU-Kommission, müssen Reedereien sowie Schiffbauer noch einmal deutlich mehr Tempo machen, um rechtzeitig dort anzukommen.

Aus Sicht der maritimen Wirtschaft gefährdet nun ausgerechnet die Brüsseler Behörde grundsätzlich das Gelingen der Klimawende in der Schifffahrt. Stein des Anstoßes sind aber nicht die kürzlich mit dem Paket «Fit for 55» präsentierten Klimaziele – sondern von der Kommission definierte Kriterien, welche Investitionen künftig als «grün» gelten dürfen.

In einem Brandbrief an die Bundesregierung setzen sich acht Verbände dafür ein, die entsprechenden maritimen Regeln zu stoppen und zu überarbeiten. Sie sind in einem so genannten «delegierten Rechtsakt» zu einer seit 2020 geltenden «Taxonomie»-Verordnung enthalten. Die Branchenverbände reiben sich daran, dass von 2026 nur noch Schiffe als nachhaltig gelten sollen, bei denen keine CO2-Emissionen direkt aus dem Schornstein kommen. «Der Ansatz, Schiffsemissionen ausschließlich am Schornstein zu bewerten und nicht die Klimaneutralität eines Antriebskonzeptes eines Schiffes insgesamt, ist falsch, löst die Klimakrise nicht und wird der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Maritimen Wirtschaft schweren Schaden zufügen», heißt es in dem Schreiben, das der dpa vorliegt.

Faktisch kämen aus Verbändesicht nur noch Wasserstoff, Ammoniak und Batteriestrom als Treibstoffe für die Schifffahrt in Frage, die aber nicht als erste Wahl gelten. Das als Übergangslösung gesehene Flüssiggas (LNG) werde verhindert – ebenso wie künftige Bio-Kraftstoffe oder klimaneutrales synthetisches Methanol, obwohl die «besser für maritime Anwendungen geeignet» seien. Nun fürchtet die Industrie, dass Finanzierungsinstrumente der öffentlichen Hand und EU-Beihilferegeln entsprechend angepasst werden, was Schiffsfinanzierungen und die staatliche Förderung schadstoffarmer Treibstoffe künftig unmöglich mache.

In der EU sollen die Treibhausgasemissionen nach dem Willen der Kommission gegenüber 1990 bis 2030 um mindestens 55 Prozent sinken. Bis 2050 sollen in der Union dann netto keine klimaschädlichen Treibhausgase mehr ausgestoßen werden. «Die Latte liegt für die maritime Wirtschaft sehr hoch, hat sich doch das seewärtige Gütervolumen seitdem mal eben verdreifacht», heißt es beim Verband Schiffbau und Meerestechnik (VSM), der für die deutsche Werftindustrie spricht.

Fossile Brennstoffe dominieren im Frachtverkehr auf See

Im Selbstbild der Schifffahrtsindustrie leisten Schiffe zwar schon heute einen Beitrag zum Klimaschutz – jedenfalls in Relation zu anderen Verkehrsträgern. «Das Seeschiff ist das wichtigste und CO2-ärmste Verkehrsmittel für den internationalen Warenaustausch», heißt es etwa beim Verband Deutscher Reeder (VDR). Allerdings: Im weltweiten Frachtverkehr auf See geht nach wie vor nichts ohne fossile Brennstoffe mit entsprechenden klimaschädlichen Emissionen. Nach Daten der Internationalen Schifffahrts-Organisation IMO gehen 1076 Millionen Tonnen Treibhausgas-Emissionen (2018) auf das Konto der Schifffahrt – laut IMO ein Anteil von 2,9 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen weltweit.

Die UN-Sonderorganisation mit ihren 174 Mitgliedsländern hat die Richtschnur ausgegeben, bis 2050 die Treibhausgasemissionen der Schifffahrt um mindestens 50 Prozent gegenüber 2008 zu drücken – allerdings ohne rechtlich bindende Maßnahmen festzuschreiben. Klimaneutralität wird bei der IMO für das Ende des Jahrhunderts angepeilt. «Die bislang beschlossenen Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur Erfassung der CO2-Emissionen aus dem Seeverkehr reichen nicht aus», stellt das Bundesumweltministerium zur IMO-Strategie fest.

«Der erste Eindruck ist: Die EU will es schneller und besser machen», sagt der für die Technik zuständige VSM-Geschäftsführer Ralf Sören Marquardt zu den Vorschlägen der EU-Kommission. «Das ist schon wirklich sportlich.» Die wichtigsten Hebel: Ähnlich wie schon der Luftverkehr soll auch die Schifffahrt künftig für den CO2-Ausstoß Verschmutzungszertifikate vorweisen müssen. Das soll Anreize liefern, Emissionen soweit wie möglich zu reduzieren. Zudem stellt sich die Brüsseler Behörde in einer neuen maritimen Treibstoffrichtlinie (FuelEU Maritime) Mindestquoten für nachhaltige Treibstoffe vor – dort aus Sicht der maritimen Verbände ausdrücklich technologieoffen.

Gegenwärtig kann ein Reeder, der ein Schiff bestellt, nur das ebenfalls fossile LNG als Alternative zu Schiffsdiesel wählen. LNG wird ein rund 15 bis 25 Prozent geringerer CO2-Ausstoß zugeschrieben. Für die Reederei Hapag-Lloyd, die vor kurzem erst ein Dutzend LNG-fähige Containerriesen bestellt hat, ist das Flüssiggas daher «derzeit der am besten geeignete Brennstoff auf dem Weg zur Emissionsfreiheit».

Mangel am marktreifen alternativen Antriebskonzepten

Um den Klimawandel jenseits der fossilen Kraftstoffe zu schaffen, wird in den maritimen Branchen ein großes Spektrum an alternativen Antriebskonzepten und Treibstoffen diskutiert, dem eines gemein ist: Nichts ist wirklich marktreif oder für den breiten Praxiseinsatz verfügbar. VDR-Präsident Alfred Hartmann mahnt daher: «Ohne alternative Treibstoffe kann die Schifffahrt ihr Ziel, schnellstmöglich CO2-frei zu werden, nicht umsetzen.»

Diskutiert werden neben Wasserstoff und Ammoniak, Elektroantrieben und Bio-Kraftstoffen vor allem so genannte «E-fuels» – beispielsweise Methanol, dessen Verbrennung zwar CO2 freisetzt, bei dessen Herstellung zuvor aber massenhaft CO2 gebunden wird, so dass ein neutraler Kreislauf entsteht. Die weltgrößte Containerreederei Maersk hat erst vor kurzem ein Containerschiff in Auftrag gegeben, das mit herkömmlichem Treibstoff oder Methanol betrieben werden kann. Die Stena Line ist seit mehreren Jahren mit der auf Methanolbetrieb umgerüsteten Großfähre «Stena Germanica» unterwegs und spricht vom «Treibstoff der Zukunft».

Von Thomas Kaufner, dpa